Mit interessierter Neugier beobachte ich, wie oft sich mein Verstand (Mind) über das Gefühl erhebt.
Ich weiß es doch: der rationale Verstand (Mind) kann nur denken und
analysieren. Er fühlt nicht. Und durch permanentes Einsetzen unseres Minds droht mir der Verlust der grundlegenden Erfahrung von Verbundenheit - mit mir selbst, mit anderen und mit der Welt.
Aus meiner Sicht werden die Folgen, die sich aus diesem Verlust der Verbundenheit ergeben, maßlos unterschätzt.
Der Neurowissenschaftler Dr. Iain McGilchrist hat das Zusammenspiel von linker und rechter Gehirnhälfte erforscht. Er beschreibt die linke Hemisphäre als Sitz
der fokussierten, engen Aufmerksamkeit, während die rechte Hemisphäre eine breitere und länger anhaltende Konzentration ermöglicht und Wachsamkeit und Aufmerksamkeit fördert.
Die rechte Gehirnhälfte hat eine direkte Beziehung zum physischen Körper und zur Außenwelt um uns herum, sie ist ein Vermittler für alles, was wir tun. Sie nimmt die Außenwelt wahr und leitet die Informationen zur Analyse an die linke Gehirnhälfte weiter. Die linke Gehirnhälfte gibt dann ihre Analyse zurück, so
dass wir mit einer breiteren, ganzheitlicheren Wahrnehmung entscheiden können, wie wir am besten reagieren.
Nun hat die linke Gehirnhälfte die rechte übernommen, um über uns und alles, was wir tun, zu herrschen, allerdings mit einer sehr eingeschränkten Perspektive. Die daraus resultierende Entkopplung, bei der die linke Gehirnhälfte ihr Feedback nicht mit der rechten teilt, ist für mich eine zentrale Säule der Kultur der Trennung, in der wir uns
befinden.
McGilchrist fährt fort: „In der Tat ist sie (die linke Gehirnhälfte) von einem alarmierenden Selbstvertrauen erfüllt. Meine Hoffnung ist, dass die Einsicht in die Situation uns in die Lage versetzt, den Kurs zu ändern, bevor es zu spät ist.“*
Mit dem Verlust der inneren Verbundenheit verlieren wir unsere inneren Bezugspunkte und unseren inneren Halt. Wir werden anfällig für die Wellen der Emotionen und unsere biografischen Triggerpunkte. Ohne
inneren Halt können wir uns schnell in den Wellen der Emotionen verlieren.
Zum Beispiel verlieren wir im Miteinander die Bezugspunkte für unsere inneren Grenzen. In Konfrontationen mit anderen fehlen uns die ICH-Sätze und wir neigen zu Projektionen, Verallgemeinerungen, Bewertungen und Verurteilungen. Wir geraten dann in Notsituationen, in denen die ICH-Bedürfnisse Vorrang bekommen müssen. Wahre Empathie kann in dieser Not dann nur noch vom anderen ausgehen, nicht mehr durch
mich selbst entstehen. Wenn innere Überlebensprogramme aktiviert werden, folgt oft der stille Rückzug oder die äußere Eskalation.
Wenn wir unsere Verbundenheit verlieren, kann uns die Komplexität unseres Alltags überfordern. Denn mit Denken und Analysieren allein können wir in einer komplexen Welt nicht navigieren. Der Kontrollverlust stößt unseren Verstand (Mind) an seine Grenzen. Für wahre Sicherheit, Orientierung und innere Führung brauchen wir den inneren Halt. Mit Fühlen
und Spüren gehen wir in die Tiefe der inneren Verbundenheit. Wir öffnen unseren Zugang zur Präsenz und zu unserer erweiterten Intelligenz, die aus dem Zusammenspiel von Verstand (Mind), Herz und Körper entsteht.
Warum fällt es uns so schwer, diesen Weg konsequent zu gehen?
Unser Nervensystem hat sich an bestimmte Aktivierungsniveaus gewöhnt, die mit einer entsprechenden körperlichen und hormonellen Chemie einhergehen. Der Akt der Aufmerksamkeit, das Fühlen
und Spüren, ist eine neue Frequenz, die dieser Aktivierung zunächst entgegenwirkt. Es bedarf ein Durchschreiten einer inneren Entgiftung von den hormonellen Ausschüttungen (Adrenalin, Cortisol und anderen Stresssymptomen) in unserem Körper. Während diese Entgiftung zunächst ungewohnt und auch unangenehm ist, bringt sie allmählich Erleichterung und ein Gefühl von Ruhe und innerer Verbundenheit.
Die Dominanz des rationalen Verstandes (Mind) verlangt, dass wir alles verstehen,
damit wir uns kontrolliert fühlen können. Der Akt der Aufmerksamkeit ohne Bedingung und ohne Analyse fordert diesen tiefsitzenden Impuls heraus. Wenn wir uns allmählich auf die Erfahrung des Fühlens, Spürens und Seins einlassen, beginnen wir zu erkennen, dass das Denken nicht dominieren muss. Mit der Zeit lässt die Energie nach, die nötig ist, um sich „kontrolliert zu fühlen“, und wir erfahren ein großes Gefühl der Erleichterung und inneren Entspannung. Dieser Impuls wird allmählich durch eine
Offenheit für subtile Wahrnehmungen und Einsichten bereichert, für die wir vorher wenig Raum hatten.
Wenn sich also unser Griff zum Denken lockert, beginnen wir, ein erweitertes Bewusstsein zu erfahren. Und wir entdecken neue Schichten von Emotionen in uns. Aus der Sicht des Verstandes (Mind) ist es wenig erstrebenswert, das scheinbar „sichere Territorium“ zu verlassen. Für ihn sind diese Schritte zur Öffnung schnell bedrohlich.
Vielleicht ist es für dich auch
umgekehrt: Du kennst die Offenheit und Durchlässigkeit, aber auch die Überforderung, Schwere und Ohnmacht im Alltag.
Für mich braucht es eine erweiterte, über klassische psychologische Ansätze hinausgehende Perspektive: Erst wenn wir die Schwelle zu unserem Wesenskern überschreiten, finden wir die Leichtigkeit und Freude im Umgang mit innerem Halt, innerer Grenze, Selbstliebe und innerer Führung.
Im kommenden 4-tägigen Coaching Retreat Der Innere Kompass - Innerer Halt -
Sicherheit in verrückten Zeiten vom 21. bis 24. März 2024 in der Lüneburger Heide findest du einen Raum, diesen inneren Kontakt wieder zu entdecken und fest in deinem Alltag zu verankern.
Wenn du möchtest, komm im Sommer zum 4-tägigen Coaching Retreat Innerer Kompass - Innere Grenze - Neue Perspektiven in der Begegnung vom 04. bis 07. Juli 2024 in die Heide. Hier tauchen wir ein in die Erfahrungswelt der inneren Grenze. Wir entdecken, wie wir uns in der Begegnung besser
abgrenzen und uns davor schützen, von den Themen anderer überrollt zu werden.
Beschenke dich selbst oder deine Lieben und sichere dir oder anderen jetzt einen Platz für die nächsten Retreats.
Alle weiteren Informationen und Termine findest Du, wie immer, auf meiner Website axelneopalzer.com.
Herzvolle Grüße
Axel
Neo
*Iain McGilchrist, The Master and His Emissary: The Divided Brain and the Making of the Western World, London 2012